Untergang in einer Hundertjährigen
ByEinhundert Jahre gibt es die „Alte Messe“ in LE. Ein Areal am Stadtzentrum. Bis zur Wende ein traditionsreicher Ort der Mustermessen, der Studenten früher zwei Mal im Jahr bestens bezahlte Jobs bot, wenn man nicht Medizin studierte(für die war es untersagt dort zu arbeiten…)Das Doppel-M am Eingang ist inzwischen denkmalgeschützt und restauriert.
Messen finden seit Beginn der 90er Jahre dort nicht mehr statt. Ein neues Gelände nahe der Autobahn ist entstanden, modern und groß. Die zahlreichen Hallen der „Alten“ wurden umgenutzt oder abgerissen. Architektonisch Interessantes, wie der russische Pavillon, wird zum Glück vor der Abrissbirne bewahrt.
Fahrradhändler, Antikmarkt, Probehalle für Bands und Theater, Firmensitze, Hundeschule, ein gut sortierter Supermarkt mit leckeren Zutaten der mediterranen Küche, einem riesigen Marmeladen-, Keks- und Käseangebot sind in die historischen Gemäuer gezogen und halten diesen charmanten abgeschlossenen Stadtteil hoffentlich noch länger am Leben.
Nun wird ein riesiges Möbelhaus errichtet, um den innerstädtischen Markt in diesem Konsumsegment anzukurbeln, damit der Kunde nicht in endloser Autoschlange hinaus an den Stadtrand zum wiesenbebauten Konkurrenzpalast pilgert. Ein neues Bild, an welches man sich auf dem Alltagsweg gewöhnen wird. Zwangsläufig. Vielleicht wird das Bauwerk weniger hässlich als befürchtet.
Kürzlich nahm ich zu abendlicher Stunde in Dunkelheit auf dem alten Betonboden Platz, um mir die letzte Vorstellung von „Titanic“ anzuschauen. Es war die wohl erste Inszenierung der wunderbaren Open – Air – Theatertruppe „Titanick“(Leipzig/Münster) von 1993. Seitdem bereist sie die Welt mit ihren spektakulären Inszenierungen, zu denen man sich irgendwie immer etwas wetterfest und falls noch vorhanden, in Asbest kleiden sollte.
Es ist rappelvoll.
Wie immer rechne ich mit der opulenten Entfesselung der Elemente in faszinierender Choreografie, famoser Bühnentechnik, mit wunderbaren Akteuren und Livemusikern. Ganz besonders an diesem Abend, an dem die „Titanic“, 101 Jahre nach dem traurigen Vorbild, nun hier in LE auf diesem hundertjährigen Gelände ein letztes Mal untergeht.
Es gibt keine Passagiere, außer einer Dame, die vielleicht eine untergehende Diva ist, sonst nur Personal:
von Koch und Kellner über den Kapitän zum Heizer, der es besonders schwer haben wird, auf dieser ersten und letzten Fahrt. Natürlich die erstklassigen, bis zuletzt spielenden Musiker.
Ein grandioses Spektakel. Das Schiff sinkt wirklich, der Eisberg unübersehbar, die eindringenden Wassermassen,
das vernichtende Feuer, die wenigen Rettungsboote,
das köstliche, nicht verzehrte Essen und eben der arme Heizer, der zu retten versucht, was längst verloren ist.
Ich habe ihn irgendwie dauernd im Bild.
Nach einer Stunde steht das Wasser auf der Alten Messe knöchelhoch, ich habe riesigen Durst, das Auto kommt mit dem Kreuzbuben vorgeschwommen. Meine Strümpfe sind nass. Zum Gedenken an die Völkerschlacht hat das Theater einen Auftrag vor historischer Kulisse.
Ich bin sehr gespannt. Allerdings auch im Zweifel, ob man tatsächlich Schlachtenjubiläen feiern soll. Das wird ein anderes Thema.
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